Ja, man nannte mich schon defätistisch, einen Schwarzmaler. Und ja, ich sehe manche Fehler, die anderen entgehen. Das hat nichts mit Penibilität zu tun, es ist einfach so, dass meine Überlegungen im Makrobereich der Gesellschaft die geschichtliche Dimension mit hinein nehmen. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich an all die Fehltritte in der Politik erinnere.
Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie die Leute das vergessen können. Allerdings habe ich eine vage Vorstellung davon. Die Menschen stehen unter einem gesteigerten Arbeitsdruck. Zwar wird die Produktivität immer höher, doch das äußert sich nicht in einer geringeren Arbeitsbelastung. In der freigewordenen Zeit muss man einfach mehr produzieren. Und weil die Produktivität so wichtig ist, haben wir unsere Gehälter eingespart. Mal mehr, mal weniger. Wir haben für die Produktivität Feiertage abgeschafft. Wir haben die Post, die Bahn, die Wasserwerke verkauft, weil wir zuließen, dass die Menschen glaubten, der Staat könne es nicht richtig und die privaten Unternehmen könnten es besser. Wer hatte das immer wieder behauptet? Wer verweigert sich der Erkenntnis, dass sie das ganz offenbar nicht können. Und ja, das war vorher schon absehbar. Ich wage die Behauptung, sie wussten es und haben einfach der Gier freien Lauf gelassen. Woher kommen wohl die Probleme in der Pflege, bei den Krankenhäusern, bei der Bahn? Es gibt ein Wort für diese Strategie der Privatisierungen, der durch Wettbewerb herrscht: Neoliberalismus. Wir werden seit der Wiedervereinigung in einen härteren Wettbewerb gestellt. Tatsächlich nicht allein in der Wirtschaft. Heute glaubt die Mehrheit der Menschen doch tatsächlich, dass Wettbewerb gut ist. Man hat es nur oft genug gehört.
Und nach all der Mehr-Arbeit, den Erledigungen im gesteigerten Verkehr, dem Druck, der einzig gut ist, um Stress auszulösen, da soll ich mich als Demokrat und Demokratin noch um die Prüfung der Regierung bemühen und mich mit anderen gegen das Unrecht stellen?
In der gleichen Zeit, wie der neoliberale Rundumschlag die Wirtschaft wie ein Strohfeuer anheizte, wurde der Sozialstaat drastisch zurückgefahren. Hartz IV ist ein wichtiger Leuchtturm dieser Ideologie der Privatisierung. Seitdem fließt das Geld kontinuierlich von unten nach oben. Inzwischen musste selbst die SPD einräumen, dass es nicht die gewünschten Effekte hatte. Und es hatte Millionen Menschen eines Stückchen Freiheits beraubt. Der Wohlstand ist natürlich nicht einfach weg, er wechselte das Konto. Er hob die größten Kapitalberge ein bisschen – Millionen Mal. Was passiert wohl, wenn das Geld immer dahin fließt, wo schon welches ist? In diese Richtung schwingt auch das Zinsverbot in einigen Religionen wie dem Christentum.
In der gleichen Zeit, wie die Schere zwischen Arm und Reich sich weitete, in der die sozialen Projekte zurückgefahren wurden, in der gleichen Zeit wuchs das Rechtsextreme. Zufall? Wussten sie, die das Grundgesetz schrieben, denen der Schrecken des Rechtsextremismus noch in den Knochen steckte, dass die Sicherung einer Gesellschaft vor Faschismus durch die Umverteilung von Wohlstand zu erreichen ist? Wollte da jemand aus der Geschichte lernen und hat aber vergessen, wer kontinuierlich gegen diese Umverteilung arbeitet? Und nach Jahrzehnten der Sozialen Marktwirtschaft konnten sich die Konservativen im Neoliberalismus endlich von dem Sozialquatsch befreien und es als das Schmarotzertum darstellen, als welches sie es erachten. Der entsprechende Propagandadiskurs ist gleichfalls nicht neu, auch den gab es schon davor.
Besonders entlarvend ist die aktuelle Politik: Als Gegenleistung für die Lockerung der Schuldenbremse im Bundeshaushalt forderten Lindner und seine Partei die Kürzung von Sozialausgaben. Es braucht nicht mal mehr eine Erklärung für diesen Bereich, denn es reicht der Verweis auf die gängige Verschwörungsgeschichte der faulen Menschen in einer Meritokratie (Verdienst nach Leistung). Anders gesagt: Eure Armut kotzt mich an! Dabei handelt es sich um eine tatsächliche Ideologie und keine der Vernunft abgeleitete Strategie. Wohin die Deregulierung des Markts führt, kann man unter dem Stichwort „Manchester Kapitalismus“ nachlesen. Es bedeutete eine Verelendung der Masse und die Schaffung von Kapitalbergen. Auch hier muss es einen Zusammenhang geben, denn in der jüngeren Menschheitsgeschichte herrschte großes Elend im Angesicht der Kapitalberge.
Welche Umstände boten sich den Nazis vor nicht mal 100 Jahren? Und welche CDU-Vorläuferpartei namens Zentrum verhalf den Nazis zur Macht? War es der große Wandel? Eine grundlegende Änderung der wirtschaftlichen Produktivität, wie sie die Digitale Revolution mit der Künstlichen Intelligenz darstellt? Gab es eine Spaltung der Gesellschaft? Gab es Wohnungsnot? Hohe Teuerungen? Armut? Die Propaganda, dass die Linken die heilige Wirtschaft oder damals das heilige Vaterland zerstören würden? Dass ihre Wahl das Ende der zivilisierten Welt wäre? Dass man die Schuld in haltlosen Vorstellungen vergangener Zeiten fand? Von den Verschwörungsgeschichten ganz zu schweigen. Stets aber begleitet von Diskreditierungen des linken Parteienspektrums und dabei leider sehr erfolgreich, wie die Geschichte beweist.
Und dann ist da die Korruption, die sich hinter Lobbyismus versteckt. Wie war das mit den Verkehrsministern der letzten 20 Jahre? Es gab sogar mal eine Abwrackprämie. Völlig intakte Autos wurden verschrottet, damit man mit Steuergeld einen neuen Wagen kauft. Auch das war Angela Merkel. Was war das mit dem Cum-Ex-Skandal, mit den Maskendeals, die Amigo-Affäre, mit der Zulassung von Glyphosat, mit dem Verschwinden von Akten und Handys? Als Helmut Kohl mit seiner Erinnerungslücke durchkam, öffnete sich eine Pforte. Das hat seine Wirkung gehabt. Heute passiert nichts, wenn der Finanzminister Lindner mit Porsche anbandelt oder für eine Bank wirbt. Oder vielleicht für Nestlé? Wessen Parteispende ich seh, dessen Lied ich sing. Der nächste Schritt ist, eine Verschwörung zu erzählen, obwohl man ganz offenbar ein antisemitischer bayerischer Minister ist. Von da ist es nur noch ein Katzensprung, die Presse unter Druck zu setzen oder man gründet gleich eigene Medien. Man lügt sich etwas zusammen, um zu erklären, warum das Steuergeld zu den Reichen fließt. Vorher soll der Arbeitslose noch mal nachweisen, dass er wirklich jeden schlecht bezahlten Job übernimmt, solange nur das reichste ein Prozent keinen Cent von ihrem 35-prozentigen Anteil am Gesamtvermögen in Deutschland abgeben müssen.
Bestimmt vergessen ist längst, dass die SPD die Rechte der kleinen Gewerkschaften beschneiden wollte? Gewerkschaften, die immer an der Seite der SPD standen –Die SPD trifft meines Erachtens eine große Schuld. Sie trugen all die rechte Politik der Jahrzehnte mit. Die Leute wählten sie für etwas ganz anderes und heraus kam: Agenda2010, Hartz IV und die Privatisierung von großen Bereichen staatlicher Aufgaben. Ein Abbau des Sozialstaates, wie es ihn in der Geschichte dieser Republik noch nie gab.
Diese Politik zugunsten einiger, was ich gerne als politischen Egoismus bezeichne, schlägt seit Jahrzehnten mit der Axt auf das Gemeinwohl ein. Und das ist es, was der Gesellschaft letztlich das Genick bricht. Der Faschismus ist die Konsequenz daraus. Die stete Lüge von der Unfairness der Ungleichverteilung des Wohlstands höhlt die Demokratie. Diese Axt gegen das Gemeinwohl, gegen die Demokratie, gegen die Gesellschaft hat verschiedene Gesichter. So fordern die Unionsparteien – in Teilen oder im Ganzen – die Abschaffung von Asylrecht, die Zusammenarbeit mit erwiesenen Faschisten, die Zurechtweisung von Youtubern, als Rezo unwiderlegbare Beweise auf den Tisch legte, die Anwendung von Gewalt gegen Asylsuchende, die Ausweitung der Reichtumsschere auf so unglaublich vielen Ebenen, die Ignorierung des Klimawandels und – als mein besonderes Bonmot der Vertreter des christlichen Abendlandes – kein Budget für gesellschaftliche Projekte wie Antirassismusprogramme mit der Begründung, dass man keine linksextremistischen Projekte finanzieren will.
Ist es nicht erstaunlich, wie viele längst bewältigt geglaubte Themen sich heute wie vor 100 Jahren, teils sogar mit den gleichen Wörtern, wieder in den Vordergrund schieben. Das ist Teil der rechten Strategie, die Demokratie sturmreif zu schießen. Damals agitierten die konservativen Politiker*innen, wie sie es heute tun – mit denselben Mitteln. Sie setzten mit der rassistischen Kolonialpolitik die Grundlage für den Glauben an einen Übermenschen.
Der Aufstieg des neuen Faschismus in ganz Europa ist kein Zufall. Er konnte geschehen, weil das Gemeinwohl von den Konservativen konsequent angegriffen und verletzt wurde. Ihre Lügen bilden das Substrat für den Faschismus, der gerade blüht. Und wie schon damals unternimmt die CDU alles, dass es noch schlimmer wird. Denn im tiefsten Innern teilen Sie die Vorstellungen von Rechtsaußen. Der Unterschied besteht nur im Nachdruck der Umsetzung und dem Kreis der Privilegierten. Deshalb wird konservative Politik immer die Grundlage für das Rechtsextreme sein. Niemand wunderte es in den 90er Jahren, dass das Wahlprogramm der Republikaner dem der CSU glich. Man nannte das: „Es darf nichts rechts der CSU geben“, weil es ein Ober-CSUler mal sagte.
Vor dem Hintergrund der sich wiederholenden Geschichte warne ich vor einem sozialen Abgrund.
Ob der Feind sich Faschismus nennt, ist belanglos. Wir sind bereits im Strudel, und es geht schneller und schneller hinab. Das gilt gleichermaßen für den Klimawandel. Womöglich gibt es auch diesbezüglich einen Zusammenhang, der m.E. wie ein Katalysator wirkt. An Ausprägungen für den Sprung in den Abgrund gibt es genug. Den fehlenden Respekt sehen die Konservativen. Doch dergestalt ist es weniger eine Frage von Respekt, sondern des Umgangs mit dem gestiegenen Leistungsdruck.
Ich fürchte, dass wir an diesem gesellschaftlichen Punkt den Geschichtsgang nicht mehr verändern können. Aber aus dieser Perspektive heraus scheint das Wichtigste, die Kräfte des rechten Feldes von der Macht sofern zu halten, wie es irgendwie möglich ist. Die Geschichte ist voll von solchen Situationen und sie enden meist auf die gleiche Weise. Schon antike Philosophen haben das erkannt und nannten das den „Kreislauf der Verfassungen“.
Ich weiß, die AfD erscheint drängender, aber ohne die CDU wird die AfD nicht an die Macht kommen! Wenn die CDU in der Legislative zurückgedrängt wird, kann das Ende der guten Gesellschaft vielleicht verzögert werden.
Es kann ein Flüstern sein. Aber wenn Millionen Menschen jeden Tag etwas flüstern, wird ein unüberhörbarer Chor daraus. Es ist nur wichtig, dass wir für diese schweren Stunden denselben Adressaten haben. Ein so konzentrierter Schlag gegen die CDU könnte helfen, diese Gesellschaft zu verbessern.
Jeden Tag etwas über ihre Machenschaften posten, schreiben, erzählen, kundtun. Kein Tag soll vergehen, ohne dass man auf einen der vielen Skandale verweist. Ihre Korruption, ihre Verlogenheit, ihre Hörigkeit gegenüber der Lobbyisten, ihr machtpolitisches Vorgehen und ihre Verschwörungsgeschichten. Ihr Handeln, das von Ausgrenzung lebt und zu Ungunsten des Gemeinwohls geht. Jeden Tag sollen alle wissen, dass sie die falschen Propheten sind, von denen ihre Religion berichtet.
Ich weiß natürlich, dass es dann abermals an der SPD liegen wird. Und auch hier scheint die Geschichte uns nichts Gutes zu bescheiden. Es bleibt die Hoffnung, dass die SPD diese Chance für die Wiedergutmachung ihrer Fehler nutzt. Ich habe zugegebenermaßen wenig Hoffnung. Ja, ich bin ein Schwarzmaler. Aber bis zur nächsten Wahl müssen wir den Menschen das wahre Antlitz der Unionsparteien aufzeigen. So viel und so oft wie möglich. Hier ist eine Liste, die dabei hilfreich sein könnte.
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