Kurzgeschichten aus dem Wilden Osten

Der Wilde Osten: Das schreckliche Geheimnis der Menschen von Friedrichshain

Die Geschichte von Friedrichshain ist eine Geschichte voller Missverständnisse. In den Stalinbauten lebte nie Stalin und die Traurigkeit der Friedrichshainer und Friedrichshainerinnen war gar keine Traurigkeit. Das schreckliche Geheimnis ist… Das erfahren Sie, wenn Sie eine Werbung anklicken. Ich danke schön.

Im Dunkel der Nacht geht der kleine Friedrichs Hainer durch die Revaler Straße von Friedrichshain. Wir schreiben das Jahr 1998 Anno Domini. Das Klacken eines festgeklemmten Steins im Profil der Schuhsohle hallt durch die leeren Gassen. Als plötzlich die schlecht eingestellten Scheinwerfer eines Autos seine Augen blenden. Trotz der eingeschränkten Sicht läuft der junge Mann weiter und tappt damit in sein Verhängnis. In jenem schicksalhaften Moment bemerkt er eine weiche Masse, in welcher der Schuh seicht abrutscht. Ein Verdacht beschleicht ihn. Als er versucht, den Fuß zum Prüfen ins Licht zu drehen, ergreift ihn schon der Geruch der Exkremente der Spezies Canis lupus familiaris. Das blanke Entsetzen ergreift den Gekennzeichneten angesichts des sozialen Tods, der ihn nun ereilen wird. Schon so viele Male entging er diesem speziellen Schicksal, aber nun ist aller Zweifel zerquetscht. Mit einem lauten Schrei verkündet Hainer der Welt, dass er voll in die Hundescheiße getreten war. Und die Welt quittierte es ihm mit dem Schlachtruf der Schlaflosen: „Halt Deine Schnauze!“. Den Kopf geneigt und die Augen auf den Boden gerichtet, begab sich Friedrichs Hainer auf seinen Weg. Und viele werden es ihm gleichtun.

Das alte Sprichwort besagt: „Keiner ist ärger als der Kreuzberger und keiner ist gemeiner als der Friedrichshainer“. Was die Leute aus Friedrichshain betrifft, könnte das an zwei klimatischen Grundbedingungen gelegen haben. Die Winterluft ist erfüllt von einer schlechten Kohleverbrennung und im Sommer kocht der Hundekot auf dem Asphalt, was einen ganz unnachahmungswürdigen Geruch hinterlässt. Man musste im Hochsommer schon sehr abgestumpft sein, um den Hundeplatz an der Revaler Straße mit etwas zu Essen in der Hand zu passieren – das Wissen darüber vorausgesetzt. Das war schon sehr gemein von Friedrichshain.

Dieser Beitrag löst auch das Rätsel, das so manch touristischem Gefolge oder vielleicht Zehlendorfer*in zu Denken gab. Wieso blickten die Friedrichshainer*innen immer gen Boden? War es der Ausdruck einer tiefen Traurigkeit? War es gar der Weltschmerz, der auf den Schultern der Menschen lag? Keineswegs! Der gesenkte Blick diente allein der Prüfung, ob Hundescheiße voraus liegt. Der Weg war voller Minen, sodass man zuweilen nur hüpfend entrinnen konnte. Anders als die Besuchenden des Bezirks entgingen die Wohnhaften der weichdampfenden Heimtücke. Für manchen Kinderwagen war es jedoch unausweichlich.

In kalten Wintern war die Gefahr gebannt, wenngleich die Hundehäufchen bei manch lustiger Gruppe als Fußballersatz eine fragwürdige und kurze Bestimmung erhielten. So erweckte es den Eindruck, dass das Gemüt der Spezies Homo Sapiens Friedrichshainis im Winter dieser Jahre fast aufzublühen schien. Der Blick nach vorn gerichtet, machten sie einen zuversichtlichen Eindruck – zumindest solange nicht der eisige Ostwind blies.

Viele sonnige Tage verbrachte Friedrichs Hainer im Volkspark Friedrichshain. Die Bäume wuchsen dort in den Himmel, wenn man die richtigen Optics hatte, und trotzdem gab es viel Platz zum Frisbee-Spielen. Eines Tages, Friedrichs Hainer breitete seine Decke auf der Wiese auf, schlichen sich fast unmerklich kleine Geruchspartikel in die Schleimhäute seines vornehmen Näsleins. Er sprang auf und da war es bereits zu spät. Das Leiden des jungen Friedrichs Hainer fand einen bemerkenswerten Höhepunkt im Horror des Boxhagener Platzes, wo er schließlich aufgab, denn sonst hätte er sich an jenem heißen Sommertag übergeben müssen. Es dauerte, bis sich Friedrichs Hainer davon erholt hatte.

Es dauerte selbstverständlich nicht so lange, wie es braucht, den Boden des Boxhagener Platzes neu zu begrünen. Und selbst als es gelang, ein spärliches Grün aus dem Boden zu zwingen, war es eine Frage von Tagen, bei entsprechender Regenlage von einem Tag, bis die zarten Blätter mit Abermillionen Tritten gänzlich ausgerottet wurden. Da wuchs nichts und kein Getier wühlte sich durch diese Erde. Und der Bezirk gab sich wirklich Mühe, man erhoffte sich vom Hirtentäschel mehr Ausdauer. Doch selbst dieses beständige Kraut war nach einem Monat nur noch in Form weniger Büschel vorhanden. Aber an Dünger konnte es beileibe nicht mangeln, das kann man ganz klar ausschließen.

Der sandige Grund mit wenigen grünen Inseln war aber die einzige Konstante in dem Theater des Menschelns, das dort jeden Tag aufgeführt wurde und mit nicht wenigen Überraschungen aufwarten konnte. Nicht nur am Sonntag zum Flohmarkt, sondern auch unter der Woche war das Programm äußerst abwechslungsreich. Es war ein Platz für den Kreislauf von Flüssigkeiten allerlei Lebewesen und gewisser anderer Ausscheidungen. Aber es war auch der Ort von weltbewegenden Entscheidungen, so als Schauplatz des Parteitags der Anarchistischen Pogo Partei Deutschlands, kurz APPD. Der Vorsitzende nahm auf einem leeren Bierkasten Platz und eröffnete die Diskussion um die Forderung nach Freibier für alle. Die Entscheidung stand mit großer Mehrheit und gelang in Rekordzeit für die Geschichte der Parteien. Standesgemäß opferte man den gesamten Nachmittag dem hehreren Ziel und ging mit gutem Beispiel voran.

Der einzige Ort, an dem man die Hundehäufchen in den 90er Jahren nicht roch, war der Görlitzer Park oberhalb des Edelweißes. Dort war die Luft noch gut. In Schwaden zog der wohlige Duft über den Park, wie der Grillsmog im Volkspark Friedrichshain beim Volleyballfeld. Eben wie man sich so ein barockes Schlachtfeld vorstellt.

In den Sommern der 90er und Nuller-Jahre konnte man dem Geruch der hündischen Fäkalien gar nicht entgehen. Schon am frühen Morgen kroch der Geruch bei strahlendem Sonnenschein und steigenden Temperaturen allmählich durchs Fenster, vor allem im Hinterhof der Rigaer Straße. Denn der Wind wie der Hall kannten nur einen Weg und der führte nach oben an meinem Fenster vorbei. Das galt insbesondere, wenn die Sonne im Zenit darüberstand. Denn dort, wo Kinder die Betonwüste als Spielplatz nutzten, wo sie das einzige Wort, dessen sie anscheinend mächtig waren, immer und immer wieder auf die Wand kritzelten – nämlich Polizei, und wo nur die bunten Kreidekritzeleien und die Müllcontainer das Grau kontrapunktierten, gab es auch gelegentlich ein Hundehäufchen zu beklagen. In diesen Fällen konnte man den wahren Gesichtsausdruck der Menschen ganz deutlich ablesen, wenn sie das Fenster schlossen. Es klingt seltsam, aber so steht es in meinen Erinnerungen geschrieben.

Und das ist das schreckliche Geheimnis aus Friedrichshain aus den 90er und Nuller-Jahren, als der Osten noch ungezähmt war.

Zusammenfassung:

Und für alle, die jetzt die Werbung angeklickt haben, aber keine Kraft hatten, alles durchzulesen und schnell nach unten gecrawlt haben, um herauszufinden, was das schreckliche Geheimnis ist, sei gesagt: Das dunkle Geheimnis, weswegen alle Menschen in Friedrichshain in den 90er Jahren traurig waren, war in Wahrheit, der Hund der Schwester seines Bruders, welcher alle ermordete und fortan die Schuld trug – diese Schande. Daher waren alle Friedrichshainerinnen und Friedrichshainer so traurig und deshalb heißt es Friedrichshain. Und deshalb ist der Text an der Stelle zu Ende.

Entdecke die ganze Welt des Wilden Ostens. Der Überblick:

Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren. Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren. Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren. Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren. Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren. Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren. Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren. Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren.Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren.Wilder Osten. Kolumne über OstBerlin in den 90er Jahren.

2 Gedanken zu „Der Wilde Osten: Das schreckliche Geheimnis der Menschen von Friedrichshain

  • Sanderos Spacius

    Die extra Erklärung mag ich auch !

    Antwort

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Ads Blocker Image Powered by Code Help Pro

Sie nutzen einen Adblocker!

Bitte deaktivieren Sie den Adblocker. Auch ich muss Rechnungen bezahlen!

Powered By
Best Wordpress Adblock Detecting Plugin | CHP Adblock