Literatur: Mark Scheppert – Leninplatz
Ein neuer Roman von Mark Scheppert und wieder wird die Leseschaft in die 80er Jahre der DDR geführt. Zwischen Hormonen, Pupertätsgebaren, Staatsraison und politischer Kritik.
Im Charme des berlinerischen Slangs beschreibt Mark Scheppert – bekannt durch das Buch Mauergewinner – wieder ein Stück seiner Jugend in der DDR.
Das Buch führt in eine Welt des politischen Verbots und der DDR Unterhaltung. Dabei nimmt man die Sicht eines Heranwachsenden ein, der sich und sein Leben in jenem DDR-System verortet. Es ereignen sich die klassischen Selbstfindungsphänome, wie sie nahezu alle hiesigen Heranwachsenden dieser Generation zu Teil werden. Und diese Erzählung erfolgt vor dem Hintergrund der untergehenden DDR.
Dem Lesegefühl wird durch den berlinerischen Sprachgebrauch ein realistischer Style eingehaucht. Das macht sich auch an Wörtern wie cool – “kuhl” bemerkbar. Man könnte sagen, das Buch verwendet einen pubertären Bauern- und Arbeiterjargon.
Erinnerung- und identitätsbegünstigend wirkt wohl auch die Erwähnung damaliger Speisen, Events, der DDR-Unterhaltung und die Verlockungen des bekannten Intershops. Für diejenigen, die den Begriff “Intershop” nicht kennen: Der Intershop war ein Laden mit West-Produkten, in dem man mit D-Mark zahlen musste. Diese Läden waren für den Westbesuch und die Preise hoch.
Das in Ich-Form geschriebene Buch führt auch in die Clique des pubertierenden Mark Scheppert ein. Es ist das Jahr 1984, das 35. Jubiläum der Deutschen Demokratischen Republik. Die Lehrerin propagiert einen hoher Staatsbesuch und ein Fackelumzug steht an. Daran uninteressiert, geht Mark des Mädchens Nadja wegen hin.
Man trifft sich am Leninplatz, dem heutigen Platz der Vereinten Nationen. Dort ereigneten einige wichtige Passagen im Leben des Autors. In der Hochzeit des Autos als Statussymbol trifft die Clique an diesem Ort auf einen liegengebliebenen Mercedes-Benz. Ein Unfall legte den Wagen wohl still. Das Statussymbol wird von der Clique augenblicklich in Beschlag genommen und ob der begehrten Marke ausgeschlachtet. Der ausgebaute Sitz der Beute wird kurzerhand zum Thron und Sinnbild eines unterbewusst zum Maßstab erhobenen ‘Materialismus’.
Die Geschichten der DDR Jugenderfahrungen erfassen viele Sphären des Lebens, nicht zuletzt auch die Schule, und die Geschichte auch reist mit seinem Autor über die Hauptjahre der beginnenden Adoleszenz. Die Erzählungen wirken authentisch und sind, wie gewohnt, sehr offenherzig. Die Schule, die Gehorsamen, gehorsamsfordernden Lehrer und der sozialistisch-pathetische Alltag bestimmen weite Teile des Buchs.
Wortscherze über die DDR-Propaganda mit ihren eigentümlichen Ausdrücken begleiten das Buch und selbstverständlich bekommen die Lehrenden ihr Fett weg.
Die Auseinandersetzung mit der Linientreue, gepaart mit den Teenagerliebeleien und dem Gehabe unter Jungs, die sich dem Zurechtfinden in der Welt der Erwachsenen vor realexistiernder Kulisse widmen.
Das Buch lohnt nicht nur für diejenigen, die in dieser Zeit in Ostberlin oder generell in der DDR groß geworden sind, sondern für alle, die sich für die damalige Zeit interessieren. Ein Stück dichte Beschreibung eines untergegangen Staates.
Vielleicht ist auch für jene interessant, die im Land des Klassenfeinds groß geworden sind und sich fragen, wie die Pubertät wohl hinter dem antifaschischtischen Schutzwall verlief.